Wenn sich der Staub setzt – Eine Ode an das Innehalten

Alexandra Brand • 17. Mai 2025

Wenn sich der Staub setzt – Eine Ode an das Innehalten

Es gibt Momente, da staune ich über die Sprache des Lebens. Wie sie sich zeigt in Dingen, die wir oft übersehen – wie Staub. Dieses feine, scheinbar bedeutungslose Etwas, das sich in der Luft bewegt, wenn wir uns bewegen. Das sich absetzt, wenn wir zur Ruhe kommen. Und das uns lehrt, dass auch inneres Aufgewühltsein seine Zeit braucht, um sich zu legen.

 

Heute bin ich mit dem Staubwedel durch mein Zuhause gegangen. Eigentlich wollte ich längst unterwegs sein, aber ein Gespräch mit meiner Herzensfreundin war mir wichtiger – oder besser gesagt: brachte mich zurück. In den Moment. In den Körper. In die Achtsamkeit.

 

Ich wischte Staub während des Gesprächs. Und landete  im Zimmer meines Sohnes, das seit neun Monate leer steht, während er in den USA ein Schuljahr verbringt. Neun Monate – wie ein Kind im Bauch heranreift. So lange war sein Raum unberührt, fast wie in einer Art Winterschlaf. Und ich stellte fest: Es war kaum Staub da.

 

Diese Erkenntnis war mir nicht neu – sie hatte sich mir schon einmal gezeigt, als ich nach meiner zweieinhalbmonatigen Pilgerreise heimkam. Ich erwartete eine staubige Wohnung. Aber der Staub war ausgeblieben. Denn: Kein Mensch hatte den Raum betreten, keine Bewegung hatte Staub aufgewirbelt. Eine Freundin hatte in dieser Zeit liebevoll die Pflanzen gegossen. Sonst war da nur Stille. Und genau diese Stille hatte ihre eigene Reinigung mitgebracht.

 

Das berührt mich. Weil es so sehr über das Physische hinausgeht. Denn Staub ist nicht nur Staub. Er ist Erinnerung. Emotion. Er ist das, was aufgewirbelt wird, wenn wir uns bewegen – innerlich wie äußerlich. Wenn wir durch intensive Zeiten gehen. Wenn das Leben laut ist. Voll. Herausfordernd. Lebendig. Und manchmal auch zu viel.

 

Und dann braucht es diesen Moment, in dem wir uns zurücklehnen. Durchatmen. Loslassen. Den Staub sich setzen lassen. Verarbeiten, was war. Nicht gleich weglaufen zum nächsten To-do. Sondern lauschen. Spüren. Und den Raum in uns neu ordnen.

 

In einem Raum, in dem wenig Bewegung ist, legt sich der Staub fast gar nicht nieder. Da ist Ruhe. Klarheit. Eine Stille, die nicht leer ist, sondern voll von Integration. Und so ist es auch in uns: Wenn wir innehalten, kann sich das Erlebte setzen. Kann sich das Aufgewühlte verwandeln. Kann sich zeigen, was wirklich bleibt und was eingeladen werden will.

 

Ich erkenne immer mehr, wie wichtig es ist, uns diese Räume zu schaffen. Räume, in denen wir nicht nur funktionieren. Sondern ankommen. Sei es durch Natur, durch ein offenes Gespräch, durch Kunst, durch Atmen. Durch all das, was uns hilft, wieder in den Fluss zu kommen – nicht im Außen, sondern im Innen.

 

Denn wenn wir den Staub nicht ehren – wenn wir ihn einfach wegwischen, ohne ihn zu verstehen – verlieren wir die Chance, zu wachsen. In unserer Tiefe. In unserer Essenz. In unserer Körper-Geist-Seele-Verbindung.

 

Ich schreibe diesen Text, während ich weiß: Mein Sohn wird in zwei Tagen wieder durch diese Tür treten. Neun Monate voller Erfahrungen liegen hinter ihm. Und auch vor mir liegt eine neue Phase des Mutterseins, des Raumhaltens. Aber diesmal mit noch mehr Klarheit. Mehr Weichheit. Und dem Wissen, dass auch Staub uns etwas lehren kann.😊

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